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Klausuren richtig lösen: Der Gutachtenstil in Zivilrecht, Strafrecht und Öffentlichem Recht

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Juristische Klausuren prüfen nicht, was Sie wissen, sondern wie Sie denken. Der zuverlässige Leitfaden dafür ist der Gutachtenstil. Wer ihn beherrscht, schreibt nicht „irgendwie richtig“, sondern nachvollziehbar, prüfbar und punktesicher.

Dieser Beitrag führt Sie praxisnah und tief durch die Methode – mit Beispielen aus allen drei Rechtsgebieten und konkreten Formulierungsbausteinen für Ihre Klausur.

A. Der rote Faden:

I. Vier Schritte, die überall gelten 

1. Obersatz (mit Norm/Prüfungspunkt)
2. Definition/Voraussetzungen (ggf. Streitstände kurz einordnen)
3. Subsumtion (Tatsachen des SV unter die Definitionen „schieben“)
4. Ergebnis (Zwischen- oder Gesamtergebnis)

Die Technik ist schachtelbar: Jeder Unterpunkt läuft wieder in 1–4. So bleibt Ihre Klausur sauber gegliedert – vom Groben ins Feine.

Formulierungsanker

  • Obersatz: „Fraglich ist, ob …“, „Zu prüfen ist, ob …“
  • Definition: „Das ist der Fall, wenn …“, „Voraussetzung ist, dass …“
  • Subsumtion: „Laut Sachverhalt …“, „Angesichts dessen …“, „Daraus folgt …“
  • Ergebnis: „Demnach …“, „Somit …“, „Folglich …“

II. Der Obersatz – Ihr Start in jede Klausur

Der Obersatz ist der erste Schritt im Gutachtenstil und damit das Fundament Ihrer gesamten Prüfung.
Er beantwortet eine einzige Frage: Was soll rechtlich geprüft werden?
 

Er ist wie ein Satzgerüst aufgebaut, das immer nach demselben Prinzip funktioniert:

 

Schritt

Bedeutung

Beispiel

1. Wer

Wer will etwas? (Gläubiger / Anspruchsteller / Kläger)

A

2. will was

Welches Begehren? (Leistung, Herausgabe, Schadensersatz, Aufhebung etc.)

Zahlung von 600 €

3. von wem

Gegen wen richtet sich das Begehren? (Schuldner / Anspruchsgegner / Beklagter)

gegen B

4. woraus

Auf welcher Anspruchsgrundlage? (konkrete Norm)

aus § 433 II BGB

So entsteht der vollständige Obersatz:

A könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 600 € aus § 433 II BGB haben.

Musteraufbau (zum Nachahmen)

Wer
will was
von wem
woraus

[1] könnte [3] einen Anspruch auf [2] aus [4] haben.

Weitere Beispiele

  • Schadensersatz:
    T könnte gegen H einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 80 € aus § 280 I BGB haben.
  • Eigentumsherausgabe:
    E könnte gegen B einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrrads aus § 985 BGB haben.
  • Strafrecht:
    T könnte sich wegen Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben.
    (→ Statt „Anspruch“, hier: „sich strafbar gemacht haben“)
  • Öffentliches Recht:
    B könnte gegen die Stadt einen Anspruch auf Aufhebung der Ordnungsverfügung gem. § 113 I 1 VwGO haben.
    (→ Hier steht die Klageart bzw. das Klageziel im Mittelpunkt.)

Typischer Fehler:
Viele Studierende beginnen mit:

„Im vorliegenden Fall liegt möglicherweise ein Kaufvertrag vor.“

Das ist kein Obersatz, sondern schon eine Vorwegnahme des Ergebnisses.
Ein Obersatz stellt eine Hypothese auf, keine Feststellung.

Richtig ist:

„A könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II BGB haben.“

Merke:

Der Obersatz ist der Startpunkt und zeigt, dass Sie den Fall verstanden und strukturiert erfasst haben.
Von hier aus entfaltet sich alles Weitere: Definition, Subsumtion und Ergebnis.
Wer den Obersatz sicher bildet, denkt automatisch im Gutachtenstil.

WICHTIG:

Interpretieren Sie nichts in den Sachverhalt hinein, lassen Sie aber auch keine verwertbaren Angaben unberücksichtigt.
Führen Sie die Prüfung stets mit dem durch, was der Sachverhalt Ihnen tatsächlich bietet.

B. Zivilrecht: Der Anspruch – drei Kernmuster

I. Anspruch auf Kaufpreiszahlung (§ 433 II BGB) – Fahrrad


Sachverhalt:

B will sein Bike verkaufen. A ist an dem Bike interessiert. B bietet dem A sein City-Bike am 12.05. für 600 € zum Kauf an. A ist mit den 600 € einverstanden. Beide beschließen, dass der A heute das Fahrrad erhalten soll und morgen dem B die 600 € zahlt, da er gerade die 600 € nicht bei sich hat. A erscheint am nächsten Tag nicht mit dem Geld.

Hat der B einen Anspruch auf Zahlung der 600 €?

Obersatz:

A könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II BGB haben.

Einleitung

Nach dem Sie den Obersatz geschrieben haben, sollten Sie den ersten Prüfungsabschritt bzw. die Voraussetzung des Anspruchs einleiten:

Dann müsste ein wirksamer Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB zwischen A und B zustanden gekommen sein.

Definition:

Nun das eingeleitete Merkmal definieren:

Ein wirksamer Kaufvertrag kommt durch Angebot und Annahme i.S.d. §§ 145 ff. BGB zustande.  

Subsumtion (verdichtet):

 

Nun muss subsumiert werden. Wenn der Sachverhalt, wie hier, so eindeutig ist, dann kann man die Subsumtion auch klar und knapp halten:

B bietet A am 12.05. das City-Bike für 600 € an. A nimmt am selben Tag vor Ort das Angebot fristgerecht an.

Einwendungen liegen nicht vor.

Zwischen-

ergebnis:

Der Kaufvertrag gem. § 433 BGB ist wirksam zwischen A und B zustande gekommen.

Ergebnis: B hat somit gegen den A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus gem. § 433 II BGB.

Varianten-

hinweis:

Baue Prüfungsroutine auf:

(1) Vertragsschluss,

(2) Inhalte,

(3) Einwendungen

  •            Anfechtung, §§ 119 ff.;
  •       Rücktritt, §§ 323 ff.;
  •       Widerruf, §§ 312g, 355,

(4) Fälligkeit/Verzug.

 


II. Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§§ 280 I, III, 283 BGB) – Fahrrad zerstört vor Lieferung

Sachverhalt:

A bestellt bei H ein neues Trekkingbike für 1.200 €. Bevor H das Fahrrad liefern kann, wird dessen Lager durch einen Brand vollständig zerstört. Das Fahrrad, das für A bestimmt war, verbrennt. H kann kein Ersatzfahrrad mehr beschaffen. A verlangt Schadensersatz.

Obersatz

A könnte gegen H einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Unmöglichkeit aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB haben.

Definition

Vorausgesetzt sind

  1. ein Schuldverhältnis,
  2. eine Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB),
  3. ein Vertretenmüssen des Schuldners (§ 280 I 2 BGB) und
  4. ein Schaden.

Subsumtion (verdichtet):

.    (1) Schuldverhältnis: Zwischen A und H besteht ein wirksamer Kaufvertrag (§ 433 BGB) → (+).

(2) Unmöglichkeit: Die Lieferung des vereinbarten Fahrrads ist objektiv unmöglich geworden, da es im Lagerbrand zerstört wurde (§ 275 I BGB) → (+).

(3) Vertretenmüssen: Der Brand war zufällig, also weder von H noch von einer Hilfsperson schuldhaft verursacht → Vertretenmüssen (–).

(4) Schaden: A hat zwar einen Vermögensnachteil, weil er das Fahrrad nicht erhält, aber ein Schadensersatzanspruch setzt Vertretenmüssen voraus.

Zwischen-

ergebnis:

Das Vertretenmüssen fehlt, damit scheidet ein Anspruch aus §§ 280 I, III, 283 BGB aus.

Ergebnis: A hat gegen H keinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 I, II, 283 BGB, da H den Untergang der Kaufsache nicht zu vertreten hat (§ 280 I 2 BGB).

Prüfungstipp:

Für Anfänger ist wichtig zu erkennen, dass Unmöglichkeit eine besondere Form der Pflichtverletzung ist.

  • Ist die Leistung gar nicht mehr möglich → §§ 280 I, III, 283 BGB.
  • Ist sie nur verspätet möglich → §§ 280 I, II, 286 BGB.
  • Ist sie mangelhaft oder verletzt Nebenpflichten → § 280 I BGB.
    Jede Leistungsstörung hat also ihren eigenen Anwendungsbereich.

 


III. Eigentumsherausgabe (§ 985 BGB) – Wer behält das Fahrrad?

Sachverhalt:

E leiht seinem Freund B sein Mountainbike für zwei Wochen. Nach Ablauf der vereinbarten Zeit fordert E das Fahrrad zurück. B meint, er könne es noch behalten, weil E ihm das Fahrrad angeblich geschenkt habe. E verlangt die Herausgabe.

Bearbeitervermerk: Vertragliche Ansprüche sind nicht zu prüfen.

Obersatz

E könnte gegen B einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrrads aus § 985 BGB haben.

Definition

§ 985 BGB setzt voraus, dass der Anspruchsteller Eigentümer, der Anspruchsgegner Besitzer der Sache ist und kein Recht zum Besitz (§ 986 BGB) besteht.

Subsumtion (verdichtet):

         

Zwischen-

ergebnis:

B ist Besitzer ohne Recht zum Besitz.

Ergebnis: E hat gegen B einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrrads aus § 985 BGB.

Klausur-

typisch:

           (1) § 986 (Besitzrecht) – aktiv ansprechen,

         (2)  § 935 (Besitzverlust des Eigentümers → kein gutgläubiger Erwerb),

           (3) §§ 932 ff. (gutgläubiger Erwerb durch Dritte).
Diese Punkte sind Standardquellen für Punktverluste in Anfängerklausuren.

 

 

C. Strafrecht: Tatbestand – Rechtswidrigkeit – Schuld – (ggf. Rücktritt/Strafen)

I. Diebstahl (§ 242 StGB) – Ladendiebstahl am Fahrrad-Zubehör

Wir wollen an diesem Beispielsfall ganz genau die einzelnen Prüfungsschritte im Detail zeigen:

 

Sachverhalt:

T betritt ein Fahrradgeschäft und nimmt dort ein neues Fahrradschloss aus dem Regal. Er löst die Verpackung, steckt das Schloss in seinen Rucksack und verlässt den Laden, ohne zu bezahlen. Als er bereits vor der Tür steht, wird er von einer Mitarbeiterin angesprochen und ins Geschäft zurückgebeten.

Obersatz

T könnte sich wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

Tatbestand (objektiv)

Prüfung des obj. Tatbestandes einleiten:

Dann müsste es sich bei dem Fahrradschloss um eine fremde bewegliche Sache i.S.d. § 242 I StGB handeln.

Jeweiligen Tatbestandsmerkmale des obj. Tatbestandes einzeln definieren und nach jeder Definition subsumieren:

Eine Sache ist für den Täter nach § 242 StGB fremd, wenn sie weder im Alleineigentum des Täters steht noch herrenlos ist. Das bedeutet, die Sache muss zumindest auch im Eigentum eines anderen stehen. Ob eine Sache „fremd“ ist, beurteilt sich nach bürgerlichem Recht. 

Sachverhalt + Subsumtion: nun genau die Stelle, die die Fremdheit beschreibt, sich aus dem Sachverhalt heraussuchen, und darunter subsumieren:

Das Fahrradschloss gehört dem Ladeninhaber.

T hat das Schloss in seinen Rucksack gesteckt, ohne es käuflich zu erwerben. Demnach steht das Schloss im Eigentum des Ladeninhabers und ist für T i.S.d. § 242 I StGB fremd.

Nun ist das nächste objektive Tatbestandsmerkmal an der Reihe, nämlich, dass die Sache beweglich sein muss.
Auch dieses Merkmal ist – wie bereits beim Merkmal „fremd“ dargestellt – nach denselben Prüfungsschritten zu prüfen.

Hinweis: So denklogisch und plausibel Ihnen dies auch erscheinen mag, müssen Sie dennoch jedes Tatbestandsmerkmal einzeln und in der dargestellten Reihenfolge prüfen.

Die Sache, und damit das Schloss, müsste i.S. d. § 242 I StGB beweglich sein.  Beweglich ist eine Sache, wenn Sie tatsächlich fortgeschafft werden kann. T steckte das Schloss in seinen Rucksack, so dass die Sache auch tatsächlich fortgeschafft werden kann. Das Tatobjekt Schloss ist demnach auch beweglich.

Und nächstes objektive Tatbestandsmerkmal vom Diebstahl ist dran; nämlich die „Wegnahme“. Achtung: Jeder Prüfungsabschnitt ist einzuleiten:

Weiterhin müsste T das Schloss i.S.d. § 242 I StGB weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams.
T steckt das Schloss in den Rucksack und verlässt den Kassenbereich ohne Bezahlung.  Der Bruch des Gewahrsams des Ladeninhabers und Begründung neuen, eigenen Gewahrsams (Sphärentheorie) ist mit dieser Wegnahme erfüllt.

Und nun muss unbedingt ein Zwischenergebnis für diesen Prüfungsabschnitt (obj. Tatbestand) geschrieben werden:

T hat damit alle objektiver Tatbestandsmerkmale des Diebstahls i.S.d. § 242 I StGB erfüllt.

Tatbestand (subjektiv)

 

Nun prüfen wir den subj. Tatbestand. Jedoch genau in der gleichen Prüfungsabfolge wie oben. Also erst mit der Einleitung beginnen:

T müsste mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben.

Erste Voraussetzung ist, dass der Vorsatz des Täters sich auf alle Tatbestandsmerkmale des obj. Tatbestandes beziehen muss: 

Der Vorsatz bei § 242 StGB bedeutet, dass der Täter mit Wissen und Wollen handelt, eine fremde bewegliche Sache wegzunehmen, um sich oder einen Dritten rechtswidrig zuzueignen. Es reicht bedingter Vorsatz aus, bei dem der Täter die Tatverwirklichung zumindest für möglich hält und diese Billigend in Kauf nimmt. 

T wusste, dass es sich bei dem Schloss um eine für ihn fremde Sache handelt, die er auch wegnehmen wollte. 

Das nächste Merkmal im subj. Tatbestand des Diebstahls ist nun zu prüfen; nämlich die „Zueignungsabsicht“:

Die Zueignungsabsicht bei § 242 StGB erfordert, dass der Täter eine Absicht hat, sich die Sache zumindest vorübergehend anzueignen, und billigend in Kauf nimmt (Dolus eventualis), den Berechtigten dauerhaft zu enteignen.

T wollte das Schloss behalten (Aneignung) und den Ladeninhaber dauerhaft aus dessen Eigentum verdrängen (Enteignung). T handelte auch mit Zueignungsabsicht, so dass alle Merkmale des subjektiven Tatbestands ebenfalls erfüllt sind. 

Das Zwischenergebnis  und das Endergebnis für die Prüfung des Tatbestandes schreiben:

T hat ebenfalls alle Merkmale des subj. Tatbestandes des § 242 I StGB erfüllt. Der Tatbestand des Diebstahls gem. § 242 I StGB liegen demnach alle vor.

Rechtswidrig-

keit

Ein Rechtfertigungsgrund liegt nicht vor. T hat rechtswidrig gehandelt.

Tipp:

Rechtfertigungsgründe wären z.B.: Einwilligung, Notwehr oder rechtfertigender Notstand.

Schuld:

Schuldausschließungsgründe sind nicht einschlägig, so dass T auch schuldhaft gehandelt hat.

Tipp:

Schuldausschließungsgründe sind z.B.: § 19 StGB oder § 20 StGB

Ergebnis: T hat sich wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Mögliche Varianten:

         Versuch (§§ 242, 22, 23 StGB): Wäre T vor der Kasse gestoppt worden, wäre fraglich, ob bereits ein Gewahrsamswechsel stattgefunden hat → Versuch möglich.

  •  Rücktritt (§ 24 StGB): Nur, wenn T freiwillig vom Diebstahl zurücktritt (z. B. Schloss zurücklegt, bevor entdeckt).
  • Besonders schwerer Fall (§ 243 StGB): Nur prüfen, wenn SV Anhaltspunkte bietet (z. B. Einbruch, gewerbsmäßiges Handeln).

II. Körperverletzung (§ 223 StGB) mit Notwehr (§ 32 StGB)

Sachverhalt:

S steht an einer Bushaltestelle, als A ihn plötzlich wütend packt und ihm ins Gesicht schreit. Als A ausholt, um zuzuschlagen, stößt S ihn reflexartig kräftig von sich. A stürzt, fällt auf den Boden und verletzt sich am Arm. Die Polizei wird gerufen, und A zeigt S wegen Körperverletzung an.

Obersatz

S könnte sich wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

Tatbestand (objektiv)

Eine Körperverletzung liegt vor, wenn die körperliche Unversehrtheit oder Gesundheit eines anderen beeinträchtigt wird.
A hat durch den Stoß des S eine Verletzung am Arm erlitten → körperliche Misshandlung (+).

Tatbestand (subjektiv)

S handelte vorsätzlich, da er den Stoß bewusst und gewollt ausführte.

Rechtswidrig-

keit

Die Handlung könnte jedoch durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt sein.

  • Notwehrlage:
    A griff S rechtswidrig und unmittelbar körperlich an (A holte aus, um zu schlagen) → Angriff (+).
  • Notwehrhandlung:
    Der Stoß war geeignet, den Angriff sofort zu beenden, und für S das mildeste Abwehrmittel (Erforderlichkeit +).
  • Gebotenheit:
    Kein krasses Missverhältnis zwischen Angriff und Verteidigung; keine Einschränkungen aufgrund enger persönlicher Beziehung oder Bagatelle → Gebotenheit (+).

Schuld:

Schuldausschließungsgründe sind nicht einschlägig, so dass T auch schuldhaft gehandelt hat.

Tipp:

Schuldausschließungsgründe sind z.B.: § 19 StGB oder § 20 StGB

Ergebnis: S handelt in Notwehr gem. § 32 StGB, so dass die begangene Körperverletzung nicht rechtswidrig ist. S bleibt schlaflos.

Merke:

Im Strafrecht bringen klar strukturierte Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe besonders viele Punkte.

Wichtig:

Immer erst Tatbestand, dann Rechtswidrigkeit, dann Schuld prüfen – nicht umgekehrt.

  

D. Öffentliches Recht: Zulässigkeit vor Begründetheit

I. Im Verwaltungsrecht: Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO) –


Sachverhalt:

Die Stadt S erlässt gegenüber Bürger B eine Ordnungsverfügung, mit der ihm das Fahrradfahren auf allen öffentlichen Plätzen der Innenstadt untersagt wird.
Begründet wird dies damit, dass es in der letzten Zeit mehrfach zu Unfällen gekommen sei, bei denen Fußgänger auf dem zentralen Marktplatz von Radfahrern angefahren und teils verletzt wurden.
B selbst war an keinem dieser Unfälle beteiligt. Er hält das umfassende Verbot für überzogen und möchte es gerichtlich aufheben lassen.

Obersatz

B könnte mit einer Anfechtungsklage gemäß § 42 I Alt. 1 VwGO gegen die Ordnungsverfügung der Stadt S vorgehen.

ZULÄSSIGKEIT

(der Klage)

(1) Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs:
Öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, da es sich um hoheitliches Handeln einer Behörde gegenüber einem Bürger handelt (Erlass eines Verwaltungsakts i.S.d. § 35 VwVfG). → Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

(2) Statthafte Klageart:

B begehrt die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts → statthafte Klageart: Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO).

(3) Klagebefugnis (§ 42 II VwGO):

B behauptet, durch das Fahrradverbot in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) verletzt zu sein → Möglichkeit einer Rechtsverletzung gegeben (+).

(4) Vorverfahren (§ 68 VwGO):
Widerspruchsverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt (sofern nach Landesrecht erforderlich).

(4) Klagefrist (§ 74 I VwGO):
Klage innerhalb eines Monats nach Zustellung erhoben → Frist gewahrt (+).

Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO):
B als natürliche Person (+), Stadt S als juristische Person des öffentlichen Rechts (+).

Ergebnis zur Zulässigkeit:

Die Anfechtungsklage des S ist zulässig.

BEGRÜNDET-

HEIT

Die Klage ist begründet, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 I 1 VwGO).

  1. Ermächtigungsgrundlage:
    § 14 OBG NRW (bzw. die Generalklausel des jeweiligen Landesrechts) – zur Gefahrenabwehr bei konkreter Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung.
  2. Formelle Rechtmäßigkeit:
    • Zuständigkeit: Ordnungsamt der Stadt S örtlich und sachlich zuständig (+).
    • Verfahren: Anhörung nach § 28 VwVfG erfolgt (+).
    • Form: Schriftform eingehalten (+).
  3. Materielle Rechtmäßigkeit:
    • Tatbestandsvoraussetzungen: Es muss eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen.
      Nach dem Sachverhalt kam es in letzter Zeit mehrfach zu tatsächlichen Unfällen, bei denen Fußgänger verletzt wurden.
      Damit besteht eine konkrete Gefahr (+).
    • Bestimmtheit (§ 37 VwVfG): Verfügung ist hinreichend bestimmt (+).
    • Verhältnismäßigkeit:

Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.

      • Geeignet: Das Verbot verringert Radverkehr auf den Plätzen und kann so weitere Unfälle vermeiden → (+).
      • Erforderlich: Mildere, gleich geeignete Mittel (z. B. zeitlich beschränktes Verbot, getrennte Wege, Geschwindigkeitsbegrenzung) wären denkbar → (+/–).
      • Angemessenheit: Das umfassende Verbot des Fahrradfahrens auf sämtlichen Plätzen der Innenstadt trifft auch unbeteiligte und bislang unauffällige Radfahrer (wie B) erheblich in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG).
        Der Schutz der Fußgänger ist zwar ein legitimes Ziel, doch die Maßnahme geht über das Erforderliche hinaus.
        → Die Maßnahme ist unangemessen (–).

Ergebnis zur Begründetheit:

Der Verwaltungsakt ist materiell rechtswidrig. Die Ordnungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt B in seinen Rechten (Art. 2 I GG).

Ergebnis: Die Klage ist zulässig und begründet. Der Verwaltungsakt ist aufzuheben (§ 113 I 1 VwGO).

Klausur-

hinweis:

Dieses Beispiel eignet sich hervorragend, um die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Begründetheit zu trainieren.
Gerade die Abwägung bei der Angemessenheit ist in fast jeder öffentlich-rechtlichen Klausur der Punkt, an dem differenzierte Argumentation gefragt ist.

Klausur-

typisch:

           Bei Eilrechtsschutz (§ 80 V VwGO) prüfst du zusätzlich:

1.    Statthaftigkeit,

2.    Antragsbefugnis,

3.    Rechtsschutzbedürfnis,
und dann summarisch die Erfolgsaussichten der Hauptsache + Interessenabwägung.

           Zulässigkeit immer zuerst, Begründetheit danach – das ist Pflichtstruktur in jeder ÖR-Klausur!


E. Tiefenstruktur „auf Autopilot“: So planen Sie Ihre Klausurzeit

  • 20 % Lesen & Strukturieren: Parteien, Zeitpunkte, Rechtsnatur von Handlungen markieren; Reihenfolge festlegen (ZivilR: wer will was von wem woraus; StrafR: TB/RW/Schuld; ÖR: Zulässigkeit/Begründetheit).
  • 70 % Schreiben im Gutachtenstil: Pro Prüfungspunkt ein klarer Mini-Viererschritt (Obersatz–Definition–Subsumtion–Ergebnis).
  • 10 % Kontrolle: Ergebnisse konsistent? Normen korrekt? Reihenfolge sauber? Orthografie/Gliederung kurz prüfen.

F. Extra: Formulierungswerkstatt - Einleitung der Prüfungen (kompakt)

Einleitungssatz-Varianten:

  • „Zu prüfen ist, ob …“ / „Fraglich ist, ob …“ / „Es stellt sich die Frage, ob …“

Definition-Varianten:

  • „Das ist der Fall, wenn …“ / „Voraussetzung ist, dass …“ / „Erforderlich ist …“

Subsumtions-Varianten:

  • „Laut Sachverhalt …“ / „Aufgrund dessen …“ / „In Anbetracht der Tatsache, dass …“ oder (sofort die jeweilige Stelle im Sachverhalt wiedergeben).

Zwischenergebnis-Varianten:

  • „Demnach …“ / „Somit …“ / „Folglich …“ / „Mithin …“

Streitstände kurz und punktesicher

  • Nur relevante Streitfragen ansprechen.
  • Knappe Positionierung: „Die herrschende Meinung überzeugt, weil … (Telos/Systematik/Praktikabilität).“
  • Der Ansicht, der man nicht folgt (sollte immer die Mindermeinung sein) zuerst darstellen. Und nach jeder Darstellung der Ansicht ist zu subsumieren.

Im Anschluss die Ansicht darstellen, der man folgt (sollte immer die h.M. sein). Auch hier ist zuerst zu subsumieren.

Zum Schluss den Streitentscheid darstellen und zum Zwischenergebnis gelangen, bevor das nächste Merkmal/Voraussetzung geprüft wird.


G. Häufige Fehler – und wie Sie sie vermeiden

  1. Nacherzählung statt Prüfung: Kein Roman, sondern Prüfschritte.
  2. Definitionen vergessen/verwechseln: Ohne Definition keine belastbare Subsumtion.
  3. Reihenfolge beachten: Immer vom grundsätzlichen zum besonderen, sauber schachtelnd prüfen.
  4. Ergebnisse fehlen: Zwischenergebnisse nach jedem Hauptschritt sichern die Linie.
  5. Zu breit, zu kurz, zu spät: Zeitmanagement diszipliniert halten (20%/70%/10%).

H. Fazit

Der Gutachtenstil ist Ihr Kompass: gleiche Schritte, egal ob Zivilrecht, Strafrecht oder Öffentliches Recht sowie Nebengebiete.
Wenn Sie konsequent in Obersatz–Definition–Subsumtion–Ergebnis prüfen, werden selbst komplexe Fälle handhabbar — und bewertbar. So entsteht aus Wissen Struktur und aus Struktur Punktesicherheit.


Juristische Methodik ist kein Zufallsprodukt – sie ist das Fundament eines erfolgreichen Studiums.
Gerade der Gutachtenstil entscheidet, ob eine Klausur logisch, nachvollziehbar und prüfungsreif aufgebaut ist.

Wer ihn von Anfang an richtig versteht und konsequent anwendet, legt die Basis für alle weiteren Fächer – denn Jura ist ein aufbauendes Studium.

Unser Team von My-Jura-Help unterstützt Sie dabei, den Gutachtenstil von Beginn an sicher zu erlernen – mit systematisch aufgebauten Kursen, praxisnahen Übungen und individueller Betreuung in Zivilrecht, Strafrecht und Öffentlichem Recht sowie in Nebengebieten – von der ersten Prüfung bis hin zum Staatsexamen.

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