Einleitung
Am
3. Oktober begeht Deutschland den Tag der Deutschen Einheit. Dieser Feiertag
erinnert nicht nur an einen historischen Wendepunkt, sondern wirft auch
spannende verfassungsrechtliche Fragen auf, die in Klausuren wie auch in
mündlichen Prüfungen regelmäßig eine Rolle spielen. Denn die Wiedervereinigung
von 1990 war nicht nur ein politisches, sondern auch ein tiefgreifendes verfassungsrechtliches
Ereignis.
1. Der Weg der Wiedervereinigung
Der
Einigungsvertrag vom 31. August 1990 legte die konkrete Ausgestaltung
fest: Eingliederung der fünf neuen Länder, Anpassung der Rechtsordnung,
Überleitung von Verwaltungs- und Justizstrukturen. In Art. 1 des
Einigungsvertrags wurde bestimmt, dass das Grundgesetz in den neuen Ländern in
Kraft tritt. Damit war die deutsche Einheit innerstaatlich verfassungsrechtlich
vollzogen.
Völkerrechtlich
gesichert wurde das Ganze durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag (BRD und DDR
plus die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs). Dieser Vertrag regelte
endgültig die Grenzen, die außenpolitische Souveränität und die militärischen
Fragen des vereinten Deutschlands. Ohne diesen Schritt hätte die innere
Wiedervereinigung keine dauerhafte Stabilität gehabt.
Für das Examen ist wichtig: Deutschland ist nicht „neu gegründet“ worden, sondern die Bundesrepublik hat fortbestanden – nur erweitert um die neuen Länder. Das Stichwort lautet Staatskontinuität. Das ist auch der Grund, warum Deutschland weiterhin Völkerrechtssubjekt mit allen Rechten und Pflichten blieb, insbesondere Mitgliedschaften in internationalen Organisationen und Vertragsbindungen.
2. Warum nicht Art. 146 GG?
Diese
Frage ist einer der Klassiker in Klausuren und mündlichen Prüfungen – und sie
bietet viel Diskussionsstoff.
a) Wortlaut
und Intention der Normen
- Art. 23 a. F.: Sah ausdrücklich den Beitritt
„anderer Teile Deutschlands“ vor. Damit war der Weg eröffnet, die DDR zu
integrieren.
- Art. 146 GG: Verfassunggebende Alternative.
Das Grundgesetz sollte „seine Gültigkeit an dem Tage verlieren, an dem
eine vom deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossene Verfassung in
Kraft tritt.“
b) Argumente
für Art. 146 GG
Ein Teil der Literatur forderte 1990, die historische Chance für einen
„Neustart“ zu nutzen. Argumente:
- Starker demokratischer
Legitimationsakt durch eine Volksabstimmung.
- Möglichkeit, strittige Punkte neu
zu gestalten (z. B. Verhältnis Bundesstaat/Zentralstaat, Stellung der
Grundrechte, Staatsziele wie Umweltschutz oder Gleichberechtigung).
- Symbolkraft: Ein vereintes
Deutschland verdient eine neue, vom gesamten Volk verabschiedete
Verfassung.
c) Argumente
für Art. 23 a. F.
Die Politik entschied sich für Art. 23 GG a. F. – und das hatte gute Gründe:
- Pragmatismus: Die Bevölkerung der DDR wollte
schnelle Einheit, nicht jahrelange Verfassungsdiskussionen.
- Stabilität: Das Grundgesetz hatte sich seit
1949 bewährt und wurde international anerkannt.
- Rechtskontinuität: Ein Neubeginn über Art. 146 hätte
Rechtsunsicherheiten mit sich gebracht (z. B. Frage nach der Weitergeltung
bestehender Verträge).
- Tempo: Historisch war es eine
„Fenstersituation“. Niemand wusste, wie lange die politische Chance für
die Einheit bestand.
d)
Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts
Das BVerfG hat die Entscheidung für Art. 23 GG a. F. für
verfassungsgemäß erklärt. Es betonte, das Grundgesetz sei von Anfang an als
„gesamtdeutsche Verfassung“ konzipiert gewesen. Art. 146 GG eröffnete lediglich
die Möglichkeit einer neuen Verfassung, er verpflichtete aber nicht dazu.
e)
Examensrelevanz
In einer Klausur könnte man die Frage wie folgt aufbauen:
- Prüfung der einschlägigen Normen
(Art. 23 a. F. und Art. 146 GG).
- Darstellung der Streitfrage:
zwingender Volksverfassungsakt oder zulässiger Beitritt.
- Argumente beider Seiten.
- Ergebnis: Beitritt nach Art. 23 GG a. F. war zulässig, Art. 146 blieb bestehen.
3. Auswirkungen auf das
Grundgesetz
Die
Wiedervereinigung hatte unmittelbare Folgen für das Grundgesetz. Zunächst trat
es in den neuen Ländern in Kraft, sodass die Grundrechte von einem Tag auf den
anderen volle Wirkung für rund 16 Millionen Bürgerinnen und Bürger erhielten.
Damit wurden nicht nur politische Freiheiten wie die Meinungs- und
Versammlungsfreiheit verwirklicht, sondern auch die Justiz- und
Verwaltungsorganisation nach den Maßstäben des Rechtsstaatsprinzips aufgebaut.
a) Föderale
Neuordnung
Mit dem
Beitritt der fünf neuen Länder (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen,
Sachsen-Anhalt, Thüringen) änderte sich die föderale Struktur spürbar:
- Im Bundesrat wuchs die
Stimmenzahl; die Mehrheitsbildung wurde komplexer.
- Im Bundestag führte die
größere Bevölkerung zu einer höheren Mandatszahl.
- Auch die Finanzverfassung war
betroffen: neue Länder erhielten Ausgleichszahlungen, der Finanzausgleich
musste angepasst werden.
b)
Präambeländerung und Verfassungsidentität
Ein
besonders wichtiger Punkt war die Änderung der Präambel des Grundgesetzes.
Vor 1990 sprach sie vom „gesamten deutschen Volk in den Ländern Baden, Bayern,
…, Berlin“. Nach der Wiedervereinigung wurde die Präambel angepasst, um die erfüllte
Einheit zu dokumentieren. Damit entfiel auch der ausdrückliche Auftrag,
„die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“ – denn dieser Auftrag war
erfüllt.
Für
Examenskandidaten wichtig: Die Präambel hat zwar keine unmittelbare
Normqualität, ist aber von verfassungsrechtlicher Ausstrahlungswirkung.
Ihre Änderung war deshalb mehr als eine bloße Formalität – sie markierte den
Übergang von der „Bundesrepublik im geteilten Deutschland“ zur Bundesrepublik
als vereintem Deutschland.
c) Neuer
Art. 23 GG (Europa)
Da der alte Art. 23 GG für die Wiedervereinigung genutzt worden war, schuf man 1992 einen neuen Art. 23 GG, der nun die europäische Integration regelt. Diese systematische „Umwidmung“ ist bis heute examensrelevant: Studierende müssen unterscheiden können zwischen dem Art. 23 a. F. (Wiedervereinigung) und dem heutigen Art. 23 (Europaartikel).
4. Examensrelevanz
Die
Wiedervereinigung ist kein bloßes Randthema. Sie bündelt gleich mehrere Klassiker
des Staatsorganisationsrechts:
- Art. 23 a. F. vs. Art. 146 GG: Muss eine Wiedervereinigung durch
eine neue Verfassung erfolgen oder reicht der Beitritt?
- Staatskontinuität: Ist die Bundesrepublik identisch
geblieben oder wurde ein neuer Staat gegründet?
- Art. 79 III GG (Ewigkeitsklausel): Konnten die tragenden
Strukturprinzipien durch den Einigungsvertrag oder eine neue Verfassung in
Frage gestellt werden?
- Föderalismus: Welche Bedeutung hat die Aufnahme
neuer Länder für das Gleichgewicht im Bundesstaat?
- Präambel: Welche normative Kraft entfaltet
sie, und welche Rolle spielt sie im Lichte der Einheit?
In Klausuren könnte ein Sachverhalt so gestaltet sein, dass eine „hypothetische Wiedervereinigung“ geprüft wird oder eine Abwandlung, etwa: „Stellen Sie sich vor, 1990 wäre man den Weg über Art. 146 GG gegangen – wie wäre die Rechtslage?“ Solche Gedankenspiele fordern von Kandidaten nicht bloß Reproduktion, sondern dogmatische Reflexion.
5. Typische Fragen in der
mündlichen Prüfung
Erfahrungsgemäß
greifen Prüfer den 3. Oktober in mündlichen Prüfungen gern auf. Er ist
anschlussfähig, tagespolitisch und zugleich examensrelevant. Typische Fragen
lauten etwa:
- „Warum entschied man sich 1990 für
Art. 23 GG a. F. und nicht für Art. 146 GG?“
- „Welche Rolle spielte der
Zwei-plus-Vier-Vertrag für die äußere Souveränität?“
- „Welche Bedeutung hat die
Präambeländerung 1990?“
- „Welche Konsequenzen ergaben sich
für den Bundesrat?“
- „Was versteht man unter der
Staatskontinuitätsthese?“
- „Könnte heute noch eine Verfassung
nach Art. 146 GG verabschiedet werden?“
Gerade die letzte Frage wird gerne gestellt: Denn Art. 146 GG gilt auch nach 1990 unverändert fort. Das Grundgesetz versteht sich also weiterhin als „offen für einen verfassungsgebenden Akt des gesamten Volkes“, wenngleich die politische Realität dies derzeit nicht nahelegt. Kandidaten, die dies wissen, zeigen nicht nur Kenntnisse, sondern auch Gespür für die politische Dimension.
6. Prüfungsschema: Art. 23 a. F.
vs. Art. 146 GG
a)
Normen
Ausgangspunkt ist zunächst der Vergleich der beiden einschlägigen Normen. Der
alte Art. 23 GG a. F. eröffnete die Möglichkeit, dass „andere Teile
Deutschlands“ dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitreten konnten. Es
handelte sich also um einen klar formulierten Integrationsmechanismus, der den
Weg für die Wiedervereinigung rechtlich vorzeichnete.
Demgegenüber regelt Art. 146 GG, dass das Grundgesetz seine Gültigkeit
an dem Tag verliert, an dem das deutsche Volk in freier Entscheidung eine neue
Verfassung beschließt. Diese Vorschrift enthält damit die Option eines
verfassungsgebenden Neubeginns, der durch eine Volksabstimmung legitimiert
werden müsste.
b)
Streitstand
Umstritten war 1990 die Frage, welcher Weg für die deutsche Einheit zwingend zu
beschreiten war.
- Befürworter von Art. 146 GG
betonten, dass eine Wiedervereinigung von historischer Tragweite nur durch
eine neue, vom gesamten deutschen Volk beschlossene Verfassung angemessen
legitimiert werden könne. Dieser Weg hätte die Chance geboten,
Grundsatzfragen – etwa die Stellung der Grundrechte, die Einbindung neuer
Staatsziele oder die Balance zwischen Bund und Ländern – neu zu gestalten.
Auch die Symbolwirkung eines demokratisch beschlossenen Neubeginns wäre
besonders stark gewesen.
- Befürworter von Art. 23 GG a. F.
hoben hingegen hervor, dass dieser Weg schneller und rechtssicher sei. Die
Bevölkerung der DDR habe vor allem eine zügige Einheit gewünscht; eine
langwierige Verfassungsdiskussion hätte die Dynamik gefährden können.
Zudem habe sich das Grundgesetz seit 1949 bewährt, sodass es nahegelegen
habe, es auf das gesamte Deutschland zu erstrecken. Auch völkerrechtliche
Aspekte, insbesondere die Stabilität bestehender Verträge, sprachen für
den Beitritt nach Art. 23 GG a. F.
c)
Rechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht hat in späteren Entscheidungen ausdrücklich
festgestellt, dass der Weg über Art. 23 GG a. F. verfassungsgemäß war. Es
betonte, dass das Grundgesetz von Anfang an als gesamtdeutsche Verfassung
gedacht gewesen sei. Art. 146 GG eröffnete lediglich die Möglichkeit eines
verfassungsgebenden Neubeginns, verpflichtete aber nicht zwingend zu diesem
Schritt. Damit war die Entscheidung, den Beitritt über Art. 23 GG a. F. zu
vollziehen, rechtlich tragfähig.
d)
Rechtsfolgen
Die Wahl des Beitrittsweges hatte mehrere rechtliche Konsequenzen:
- Die Bundesrepublik Deutschland
blieb als Staat identisch bestehen; es wurde kein neuer Staat gegründet,
sondern lediglich die Zahl ihrer Länder erweitert.
- Das Grundgesetz blieb in
seiner bisherigen Form bestehen und wurde lediglich auf die neuen
Bundesländer erstreckt.
- Ab dem 3. Oktober 1990 galten die Grundrechte
für alle Bürgerinnen und Bürger im gesamten Bundesgebiet, einschließlich
der neuen Länder.
- Die föderale Struktur wurde
erweitert: Der Bundesrat erhielt zusätzliche Stimmen, die bundesstaatliche
Balance veränderte sich, und der Finanzausgleich musste neu geordnet
werden.
Fazit
Der
Tag der Deutschen Einheit ist nicht nur ein historischer Feiertag, sondern ein
juristisches Lehrstück. Er zeigt, wie flexibel das Grundgesetz war, um einen
politischen Ausnahmezustand rechtsstaatlich aufzufangen. Für Examenskandidaten
ist er ein Dauerbrenner, weil er die großen Themen des
Staatsorganisationsrechts – Verfassung, Demokratie, Kontinuität, Föderalismus,
Grundrechte – in einem Fall bündelt.
Gerade
im mündlichen Examen ist es ein ideales Gesprächsthema: Wer hier sicher
zwischen Art. 23 a. F. und Art. 146 GG differenziert, die Argumente kennt und
ihre Tragweite einordnet, sammelt schnell Punkte.
Gerade
der Tag der Deutschen Einheit zeigt, wie eng Geschichte und Verfassungsrecht
miteinander verwoben sind – und warum solche Themen im Examen so beliebt sind.
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