Im Februar/März
stehen an vielen Universitäten bereits die ersten Zulassungsklausuren und
Zwischenprüfungen im Strafrecht an. In dieser intensiven Phase stellt sich für
viele Studierende dieselbe Frage: Welche Themen und Klassiker kommen in den
Klausuren immer wieder vor – und worauf sollte ich mich wirklich konzentrieren?
Mit diesem
Beitrag starten wir bei My-Jura-Help eine kleine Serie zu genau dieser Frage:
Zunächst im Strafrecht, in den kommenden Wochen folgen Beiträge zum Zivilrecht
und zum Öffentlichen Recht. Unser Ziel ist es, Ihnen einen
strukturierten Überblick über besonders klausurrelevante Konstellationen zu
geben, die sich in der Praxis der Zwischenprüfungen und Zulassungsklausuren
immer wieder – in den unterschiedlichsten Varianten – finden.
Wenn Sie die
nachfolgenden Klassiker durcharbeiten, ihre Kerngedanken verstehen und mit dem
Gesetz verknüpfen, legen Sie ein sehr solides Fundament für die
strafrechtlichen Klausuren der nächsten Monate. Dieses Fundament ersetzt jedoch
nicht die eigene, kontinuierliche Klausurpraxis – es soll Ihnen vielmehr
zeigen, wohin die Reise in der Prüfung typischerweise geht und welche
„Dauerbrenner“ Sie kennen sollten.
1.
Tötungsdelikte (§§ 212, 211, 22, 23 StGB)
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Abgrenzung dolus eventualis ↔
bewusste Fahrlässigkeit („Hemmschwellentheorie“).
- Rücktritt: unbeendeter vs. beendeter
Versuch, fehlgeschlagener Versuch, „Denkzettel“-Konstellationen.
- Abweichender Kausalverlauf, „dolus generalis“ und
Koinzidenzprinzip.
- Heimtücke und „feindliche Willensrichtung“,
v.a. bei Mitleidstötungen und „Sterbehilfe“-Konstellationen.
BGH- und
Lehrbuchklassiker zum Nachlesen
- Hemmschwellentheorie / bedingter TötungsvorsatzBGH, Urt. v. 22.03.2012 – 4 StR 558/11,BGHSt 57, 183 = NJW 2012, 1524 (riskantes Fahrmanöver, Tötungsvorsatz, Hemmschwelle).
- Bedingter Tötungsvorsatz (Billigungstheorie) – „Lederriemen-Fall“BGH, Urt. v. 02.07.1957 – 5 StR 206/57,BGHSt 7, 363 (Grundentscheidung zum dolus eventualis; immer noch Standard in Lehrbüchern).
- Rücktritt vom Versuch („Denkzettel-Fall“)BGH, Beschl. des Großen Senats v. 19.05.1993 – GSSt 1/93,BGHSt 39, 221 = NJW 1993, 2061 (Abgrenzung unbeendeter/beendeter Versuch, Rücktrittshorizont).
- Abweichender Kausalverlauf / „dolus generalis“ – JauchegrubenfallBGH, Urt. v. 26.04.1960 – 5 StR 77/60,BGHSt 14, 193 = NJW 1960, 1261 (Opfer erst durch zweite Handlung getötet; Koinzidenzprinzip).
- Heimtücke und „feindliche Willensrichtung“ – Mord aus MitleidBGH, Urt. v. 19.06.2019 – 5 StR 128/19,BGHSt 64, 111 = NJW 2019, 2413 (Heimtücke bei Mitleidstötung, Anforderungen an die feindliche Willensrichtung).
2.
Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB)
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Definition körperliche
Misshandlung / Gesundheitsschädigung, Bagatellgrenze.
- Abgrenzung einfacher ↔
gefährlicher Körperverletzung.
- Notwehr / Notwehrexzess (z.B. Ohrfeige als „Gegenwehr“).
- Unterlassen: Garantenstellung aus Ingerenz,
aus enger Beziehung (Eltern, Geschwister), aus Übernahme.
BGH- und
Lehrbuchklassiker
- Ohrfeige als KörperverletzungBGH, Urt. (ältere Rspr., zusammengefasst etwa in BGHSt 23, 261) – anerkannt, dass eine schmerzhafte Ohrfeige regelmäßig eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine Körperverletzung i.S.d. § 223 StGB darstellt.
- Garantenstellung unter Geschwistern / UnterlassenBGH, Urt. v. 31.03.2021 – 2 StR 109/20,(Garantenstellung aus Übernahme von Verantwortung; Unterlassen, § 13 StGB, im Familienkontext).
- Garantenstellung aus Ingerenz als besonderes persönliches MerkmalBGH, Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 416/20,(Garantenstellung aus Ingerenz als besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28 Abs. 1 StGB; wichtig für Beteiligungsprobleme bei Unterlassungsdelikten).
3.
Diebstahl und Unterschlagung (§§ 242, 246 StGB) – inkl. Gewahrsam &
Pfandflaschen
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Gewahrsam (Mitgewahrsam, gelockerter
Gewahrsam, Laden-/Tankstellenfälle).
- Abgrenzung Diebstahl ↔
Unterschlagung (Fund-/Pfandfälle).
- Zueignungsabsicht, insbesondere bei
Leergut/Pfandflaschen.
BGH- und
Lehrbuchklassiker
- Gewahrsam, gelockerter Gewahrsam und Gewahrsamsbruch („Fund“/Öffentlicher Raum)BGH, Beschl. v. 14.04.2020 – 5 StR 10/20,(Gewahrsam bei im öffentlichen Raum liegenden Gegenständen; Abgrenzung Diebstahl/Fundunterschlagung).
- Pfandflaschen / ZueignungsabsichtBGH, Beschl. v. 10.10.2018 – 4 StR 591/17,NJW 2019, 3598 (Zueignungsabsicht bei Entwendung von Pfandleergut; Unterscheidung Einheits–/Individualflaschen, Vorstellung des Täters über die Eigentumslage entscheidend).
4.
Vermögensdelikte / Betrug (§ 263 StGB) und Computer-/Kartenfälle
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Täuschungshandlung (konkludente Täuschung,
Rechnungstricks, Internet-/Mail-Offerten).
- Vermögensschaden und schadensgleiche
Vermögensgefährdung.
- Computerbetrug (§ 263a StGB) vs. „normaler“ Betrug bei
EC-Karten-Nutzung.
- Bandenbetrug und organisierte Modelle (z.B.
„Schenkkreise“).
BGH-Klassiker
- „Rechnungs-“ bzw. Insertionsofferten – Betrügerische AngebotsschreibenBGH, Urt. v. 26.04.2001 – 4 StR 439/00,BGHSt 47, 1 (Täuschung durch wie Rechnungen aussehende Offerten, konkludente Täuschung und schadensgleiche Vermögensgefährdung).
- EC-Karten-Missbrauch („EC-Karten-Fall III“) – Computerbetrug?BGH, Beschl. v. 21.11.2001 – 2 StR 260/01,BGHSt 47, 160 = NJW 2002, 905 (Abhebung mit ec-Karte am Geldautomaten, Abgrenzung § 263a StGB, Garantiefunktion der Karte).
- Schadensgleiche VermögensgefährdungBGHSt 47, 1 sowie ältere Klassiker (z.B. BGHSt 15, 83) werden in Lehrmaterialien als Leitentscheidungen für die Struktur des Vermögensschadens herangezogen.
- Schenkkreise / SchneeballsystemeBGH, Urt. v. 17.06.2004 – 3 StR 344/03,(Bandenmäßiger Betrug, Schneeballsysteme – häufig als Basis für Lehrbuchfälle zu § 263 StGB).
5.
Unterlassungsdelikte & Garantenstellung (§ 13 StGB)
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Arten der Garantenstellung: Gesetz, Vertrag, enge
Lebensgemeinschaft, Ingerenz, Übernahme.
- Kausalität beim Unterlassen („Quasi-Kausalität“) und objektive
Zurechnung.
- Verhältnis von Täterschaft durch
Unterlassen und Teilnahme.
BGH-Klassiker
- Garantenstellung aus enger persönlicher Beziehung / GeschwisterfallBGH, Urt. v. 31.03.2021 – 2 StR 109/20,(Garantenpflicht aus Übernahme von Verantwortung unter Geschwistern; wichtig für Konstellationen „Familie schaut zu“).
- Garantenstellung aus Ingerenz als besonderes persönliches MerkmalBGH, Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 416/20(qualifiziert Garantenstellung aus Ingerenz als besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB – relevant bei Teilnahme im Unterlassungskontext).
- Jüngere Aufsätze und Lehrmaterialien (z.B. Greco zu Kausalität/Zurechnung bei Unterlassen – ZIS 2011, 603 ff.) sind klassische Sekundärquellen, aus denen viele Lehrbuchfälle gespeist werden.
6.
Täterschaft und Teilnahme (§§ 25–27 StGB)
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Abgrenzung Täterschaft ↔
Teilnahme (Tatherrschaft, Animus auctoris/socii).
- Gemeinsamer Tatplan, sukzessive Mittäterschaft.
- Error in persona und seine Wirkungen für
Mittäter/Anstifter.
- Beteiligung durch Unterlassen
(Spezialfall zu § 13 StGB).
BGH- und
klassische Fundstellen
- Maßstab der Mittäterschaft (Tatherrschaft)Ständige Rechtsprechung, z.B. BGH, Beschl. v. 11.07.2017 – 2 StR 220/17 (klarer Hinweis auf wesentlichen Tatbeitrag und Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium).
- Bewusste Selbstgefährdung des Opfers / Abgrenzung FremdgefährdungBGH, Urt. v. 08.09.1993 – 3 StR 341/93,(Einschränkung des Grundsatzes „bewusste Selbstgefährdung straflos“; relevant für Zurechnungs- und Beteiligungsprobleme).
- Error in persona beim MittäterAktuelle Diskussion z.B. in HRRS-Aufsätzen (Rückert, HRRS 2019, bespricht eine BGH-Entscheidung zu error in persona beim Mittäter, lehrbuchklassisch aufgegriffen).
7.
Irrtumslehre (Vorsatz- und Verbotsirrtümer, Erlaubnistatbestandsirrtum)
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) vs. Vorsatz-„Feinschliff“ (Irrtum
über Kausalverlauf, Vorsatzumfang).
- Erlaubnistatbestandsirrtum /
Putativnotwehr.
- Verbotsirrtum (§ 17 StGB) und Vermeidbarkeit.
BGH- und
Literaturklassiker
- Putativnotwehr und Erlaubnistatbestandsirrtum – „Hells Angels“BGH, Urt. v. 02.11.2011 – 2 StR 375/11,NJW 2012, 1008 (verdeckter Polizeieinsatz, sich bedroht fühlendes Hells-Angels-Mitglied; Musterfall für Putativnotwehr/ETBI).
- Aktuelle Notwehr- und Notwehrexzess-RechtsprechungZ.B. BGH-Entscheidung zu Notwehr gegen Erpresser, 3 StR 447/20, besprochen in ZJS 2022, 1682 ff.; hier werden Grundlagen der Notwehrdogmatik und ETBI klausurreif aufbereitet.
- Verbotsirrtum & UnrechtsbewusstseinAufsatzliteratur (z.B. Els, ZIS 2021, 1 ff.; Puppe/Rudolphi-Schule) prägt die Systematik, die dann in Lehrbuchfällen umgesetzt wird.
8.
Kausalität, objektive Zurechnung & Fahrlässigkeit
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Atypischer Kausalverlauf, Koinzidenz, dolus generalis (oft
über den Jauchegrubenfall).
- Eigenverantwortliche
Selbstgefährdung und Fremdgefährdung.
- Schutzzweckzusammenhang und objektive
Zurechnung.
- Fahrlässigkeitsdelikte mit komplexen Kausalverläufen
(Verkehr, Medizin, Unterlassen).
BGH- und
Literaturklassiker
- Jauchegrubenfall (s.o. unter Tötungsdelikte) zur Kausalität und dolus generalis.
- Bewusste SelbstgefährdungBGH, Urt. v. 08.09.1993 – 3 StR 341/93 (Abgrenzung bewusste Selbstgefährdung vs. zurechenbare Fremdgefährdung).
- Fahrlässigkeit, hypothetische Kausalität, UnterlassenGreco, „Kausalitäts- und Zurechnungsfragen bei unechten Unterlassungsdelikten“, ZIS 2011, 603 ff. – kein BGH-Urteil, aber Standard in Lehrbüchern und damit häufige Quelle für Klausurfallvarianten.
9.
Notwehr, Notwehrexzess & „Bagatellfälle“
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Voraussetzungen der Notwehrlage
und des Notwehrrechts.
- Gebotenheit bei Bagatellangriffen,
Schuldlosen, engsten Angehörigen.
- Notwehrexzess (§ 33 StGB) vs. Erlaubnistatbestandsirrtum.
BGH- und
Lehrbuchklassiker
- Notwehr/Putativnotwehr „Hells Angels“ (s.o. unter Irrtümer) – BGH, 2 StR 375/11.
- Notwehr gegen schuldlos Handelnde / GebotenheitSt. Rspr., zusammengefasst u.a. in BGHSt 3, 217 (von der Literatur als Leitentscheidung zitiert; Lehrmaterialien greifen das ständig auf).
- Bagatellangriffe / OhrfeigeLehrfallliteratur betont, dass eine Ohrfeige zwar regelmäßig Körperverletzung ist (s.o.), aber nicht jede Gegenwehr unter Notwehrgesichtspunkten geboten ist – ein typisches Thema in Anfänger- und Zwischenprüfungsklausuren.
10.
Moderne Klausurthemen: EC/Debit-Karten, Online-Banking & digitale Delikte
Typische
klausurrelevante Fragestellungen
- Computerbetrug (§ 263a StGB) vs. „normaler“ Betrug (§ 263 StGB)
bei Karten- und Online-Banking-Fällen.
- Verfügungs- vs. Eingriffsdelikte, Stellung der Bank,
Garantiefunktion der Karte.
- Beihilfe/Täterschaft bei arbeitsteiligen
Cyber-Konstellationen.
BGH-Klassiker
- EC-Karten-Fall III – BGHSt 47, 160 (s.o. unter Vermögensdelikte).
- Neuere Online-Banking/Phishing-Rechtsprechung (z.T. obergerichtlich, z.T. BGH) knüpft regelmäßig an diese Grundsätze an; viele aktuelle Lehrbücher und Repetitorien arbeiten mit entsprechend angepassten Fällen.
Wenn Sie die
oben aufgeführten Klassiker und die dazugehörigen Entscheidungen nacharbeiten,
gewinnen Sie einen guten Eindruck davon, was Strafrechtsklausuren im Kern
abprüfen wollen: dogmatisch sauberes Arbeiten, ein Gespür für Schwerpunkte
und das sichere Bewegen im Zusammenspiel von Allgemeinem und Besonderem Teil.
Genauso wichtig
wie das inhaltliche Wissen ist jedoch das Handwerkszeug des
Klausurschreibens:
- die Fähigkeit, einen Sachverhalt
systematisch zu lesen und die eigentlichen Probleme zu erkennen,
- die Schwerpunktsetzung im
Gutachten – also zu entscheiden, was ausführlich und was kurz zu prüfen
ist,
- und der Gutachtenstil, der
die Gedanken klar, strukturiert und prüfungsgerecht auf den Punkt bringt.
Nur die
Entscheidungen zu kennen, wird in der Regel nicht ausreichen, um eine Klausur
sicher zu bestehen. Entscheidend ist, dass Sie lernen, die in diesen Klassikern
angelegten Probleme im konkreten Sachverhalt wiederzuerkennen, sie
richtig einzuordnen und dann sauber im Gutachtenstil zu bearbeiten. Die
Originalfälle werden in der Prüfung nicht einfach „nacherzählt“ – aber ihre Problemkerne
kehren immer wieder in abgewandelten Sachverhalten zurück.
Wer den Fokus
noch stärker auf das Schreiben und Besprechen von Klausuren legen möchte, kann
zusätzlich oder alternativ unsere Klausurkurse buchen – von Basic bis
hin zu intensiveren Varianten. Dort üben Sie genau das, was in der Prüfung
zählt: Klassiker erkennen, Probleme herausarbeiten, Schwerpunkte richtig
setzen und eine vollständige, überzeugende Lösung zu Papier bringen.
Alle
Informationen zu unseren Angeboten, Kursformen und Paketen finden Sie wie
gewohnt gesammelt auf unserer Website. Wenn Sie strafrechtlich gut vorbereitet
in die Zwischenprüfungen starten möchten – mit soliden Kenntnissen der
Klassiker und einem sicheren Klausurhandwerkszeug – unterstützen wir Sie
dabei sehr gerne.
Ihr My-Jura-Help Team
Unsere
Angebote:
Vorbereitung
für das Examen:
Jura Examensrepetitorium
Examen - Einsendeklausurenkurs
Crashkurs -Examen - 2 Monate
Examen - mündliche Prüfung
Vorbereitung auf alle universitären Prüfungsleistungen:
Jura Nachhilfe für Uni-Klausuren
Online Einsendeklausurenkurs für
Uni-Klausuren
Unterstützung & Hilfe bei
Hausarbeiten
Unterstützung bei
Schwerpunkt- und Seminararbeiten – auf Anfrage

